Die Spinne an der Wand Ein Drama in 5 Akten, einem Schrei und einem moralischen Dilemma
1. Akt: Das Kreischen
Es ist die erste Nacht im Ferienhaus.
Die Wände rustikal, der Boden knarzt charmant – doch dann, aus dem Schlafzimmer, ein markerschütterndes „AAAAAHH!“
Der Mann – nennen wir ihn Knut – fährt hoch, springt aus dem Sofa auf wie ein Ritter aus dem Schlossturm, nur mit Boxershorts bewaffnet.
Er stürmt zur Tür und sieht sie sofort: Die Spinne.
Groß. Fett. Eher ein Kleintier als ein Insekt.
An der Wand, direkt über dem Kopfkissen.
2. Akt: Schulz von Thun lässt grüßen
Knuts Blick geht zur Wand, dann zur Partnerin.
Er hört den Schrei mit all seinen vier Ohren:
Sachebene: Es ist eine riesige Spinne.
Selbstoffenbarung: Ich bin entsetzt, ekle mich und brauche Hilfe.
Beziehungsebene: Du bist der Starke. Ich verlasse mich auf dich.
Appell: Tu was! Und zwar JETZT!
Knut interpretiert korrekt: „Die Spinne muss weg.“
Aber – kleines Problem: Knut hat selbst Angst vor Spinnen.
Nicht dramatisch, aber... sagen wir, unangenehm groß.
3. Akt: Der stille innere Kampf
Knut denkt:
„Wenn ich jetzt zugebe, dass ich selbst Angst habe, wirke ich schwach.“
„Wenn ich das Vieh einfach totschlage, bin ich der Macho – und es ist eklig, die Wand ist verschmutzt, und Spinnen sind nützlich.“
„Wenn ich nichts tue, enttäusche ich sie. Womöglich will sie doch lieber einen Mann, der ein Stück mehr Macho ist als ich.“
Zwickmühle.
4. Akt: Rosenberg übernimmt
Knut atmet durch.
Er denkt an Marshall B. Rosenberg und die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation:
1. Beobachtung
„Da ist eine große Spinne an der Wand.“
2. Gefühl
„Ich fühle mich ehrlich gesagt selbst ziemlich unwohl dabei.“
3. Bedürfnis
„Ich möchte dich beschützen – aber auch mit meiner Angst ehrlich umgehen dürfen.“
4. Bitte
„Wollen wir gemeinsam überlegen, wie wir sie loswerden können – vielleicht ein Glas und Papier? Oder sollen wir jemanden fragen, der weniger Probleme damit hat?“
5. Akt: Die erstaunliche Wendung
Seine Partnerin blickt ihn erst überrascht, dann verständnisvoll an.
„Du hast auch Angst?“
„Ein bisschen...“
„Dann machen wir's zusammen. Ich halt das Glas, du schiebst das Papier drunter, okay?“
Sie rücken gemeinsam zur Wand vor.
Herzklopfen auf beiden Seiten – aber gemeinsam.
Zitternde Hände, leiser Triumph.
Die Spinne wird in die Freiheit entlassen – und die Beziehung hat einen kleinen, stillen Sieg errungen.
Konfliktbaustellentipp:
Echte Stärke zeigt sich nicht darin, furchtlos zu handeln, sondern ehrlich und verbunden zu bleiben – selbst mit Herzklopfen.
Denn wertschätzende Kommunikation bedeutet nicht, „cool zu bleiben“.
Sondern zu sagen:
„Ich bin da – auch wenn ich selbst gerade nicht ganz sicher bin, wie.“