Grüß Gott, oder was guggst Du?

Der Gruß. Zwei Silben, ein Lächeln, ein Hauch von Menschlichkeit – und manchmal: ein Kommunikationsfiasko. Als kleiner Junge hatte ich von meinen Eltern eine klare Regel mitbekommen: „Wenn du jemanden triffst, dann grüß freundlich.“ Ein einfacher Satz – voll kindlicher Begeisterung in die Praxis umgesetzt. Auf dem Fahrrad, auf dem Gehweg, im Treppenhaus. Ich habe gegrüßt, was das Zeug hielt. Die Reaktion? Nun ja: zunächst Verwirrung, dann zunehmend Funkstille. Die meisten Erwachsenen reagierten nicht – nicht mit einem Lächeln, nicht mit einem Nicken, nicht einmal mit einem Blick. Offenbar hatte ich in einer Gegend gegrüßt, in der freundliche kleine Jungen entweder selten oder verdächtig waren. Ich erinnere mich an das Gefühl, als ich das Grüßen dann irgendwann aufgab: eine Art kindlicher Abschied vom Ideal, dass Freundlichkeit automatisch auf Gegenseitigkeit trifft. Ein kleines Stück Enttäuschung – so leise, dass es fast unterging. Fast. Denn Jahre später – irgendwo zwischen Seminarraum, Supermarktschlange und Wartezimmer – entdeckte ich den Gruß neu. Und zwar nicht als Anstandsformel, sondern als Kommunikationsmagie im Mini-Format. Der freundliche Gruß ist kein starrer Brauch, sondern ein kleines Angebot der Nähe, ein Sprachzeichen für Respekt, ein „Ich sehe dich“, bevor überhaupt ein Gespräch beginnt. Ist der Gruß veraltet? Mag sein, dass man heute per Push-Mitteilung schneller kommuniziert als mit einem „Guten Tag“. Mag sein, dass in Städten der Gruß zwischen Fremden fast wie ein unpassender Anachronismus wirkt. Aber gerade deshalb ist er ein kleiner Aufstand gegen die Anonymisierung – ein persönlicher Widerstand, der keinen Strom braucht, nur Herz. Kommunikationstipp für alle Grußverunsicherten: Wer zuerst grüßt, hat den ersten Schritt zur Entschärfung jedes Missverständnisses gemacht. Wer zurückgrüßt, sagt: „Ich bin nicht zu beschäftigt, um dich wahrzunehmen.“ Und wer nicht grüßt, verpasst womöglich die kürzeste Form echter Verbindung. Also: Wie wär’s mit einem kleinen Gruß-Revival? Nicht um Punkte zu sammeln. Nicht um zu gefallen. Sondern einfach, weil es guttut, gesehen zu werden – und zu sehen. In diesem Sinne: Schönen Tag noch – auch an dich, Unbekannter in der Seitenstraße von damals.

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