„Hallo? Ich hab dir vor 12 Minuten geschrieben…“ Kommunikation unter Strom – oder: Muss ich wirklich immer sofort antworten?
Heute 07:20 Uhr. WhatsApp eines Mediationskunden:
"Können Sie bitte mal kurz auf die Mail schauen, die ich eben geschickt hab? Wichtig."
08:07 Uhr. Sprachnachricht von Lisa aus der Betreuungsassistentengruppe:
"Du, ich weiß nicht, ob du es schon gehört hast, aber Manuela hat jetzt doch WhatsApp."
08:09 Uhr. Drei Fragezeichen aus der Tierschutzgruppe, in der ich Admin bin.
08:10 Uhr. Mail von der Steuerberatung mit "DRINGEND" in Betreffzeile.
Du nimmst einen Schluck Kaffee. Der ist kalt. Genau wie deine Begeisterung für digitale Dauerverfügbarkeit.
Denn das ist hier das Thema:
Elektronische Kommunikation treibt menschliche Reaktionszeit an.
In einer Zeit, in der Nachrichten uns schneller erreichen als die eigene Geduld, ist eine neue Art Konflikt entstanden:
Die Antwort-Erwartung.
Wer schreibt, rechnet mit Reaktion – und zwar am liebsten jetzt. Sofort. Noch gestern.
Und wer nicht reagiert, steht schnell im Verdacht:
Ignorant. Gestresst. Unfreundlich. Desinteressiert. Oder: Tot?
Aber:
Nur weil jemand etwas schickt, heißt das noch lange nicht, dass wir sofort antworten müssen.
Und nur weil es technisch geht, ist es menschlich noch lange nicht gesund.
Ein paar ganz reale Alltags-Szenen
Der passiv-aggressive Doppelpunkt:
„?“ – die digitale Form von: Hallo?!
Der Klassiker unter Pärchen:
„Du hast es gelesen, aber nicht geantwortet.“
(Stichwort: blaue Haken des Grauens)
Die unsichtbare Dringlichkeit:
„Nur kurz ne Sprachnachricht“ – die drei Minuten dauert und mit "Ich halte es kurz" beginnt.
Der Business-Ghost:
„Ich wollte nur wissen, ob du meine Mail gelesen hast?“ (geschickt 3 Stunden zuvor, um 20.08 Uhr oder um 05.30 Uhr)
Was das mit uns macht: Wir stehen unter Druck, ranzugehen, gleich zu antworten, alle Kanäle zu den unmöglichsten Zeiten zu kontrollieren, nur mit schlechtem Gewissen zu duschen, weil dann ja nicht erreichbar!
Diese Form der Kommunikation überwältigt.
Weil sie vorgibt: Immer erreichbar. Immer verfügbar. Immer antwortbereit.
Das erzeugt Stress, unterschwellige Schuldgefühle – oder sogar Konflikte, die nur deshalb entstehen, weil jemand…
… beim Friseur war.
… einen Tag sein Handy nicht geladen hat.
… oder einfach mal nichts sagen konnte.
Konfliktbaustelle konkret: Wie geht’s besser?
Kanalbewusstsein entwickeln:
Nicht alles gehört auf WhatsApp. Manche Dinge sind per Mail besser aufgehoben.
Andere sind ein Anruf. Oder ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
Signalisiere deine Erwartung – aber freundlich:
Statt: „Meld dich asap!!!“ lieber:
„Wenn du heute oder morgen kurz drüber schauen könntest, wäre das super.“
Gib Antwortspielraum:
Schreib: „Kein Stress – wenn du Zeit hast“, wenn du es auch so meinst.
Pflege deine Antwortkultur bewusst:
Du musst nicht alles sofort beantworten.
Und du musst dich nicht rechtfertigen, wenn du es mal nicht tust.
Kommuniziere deine Antwortgewohnheiten öffentlich:
"Wie Ihr wisst, bearbeite ich meine E-Mails in 2 Zeitfenstern am Tag, 1 Stunde vormittags, 1 Stunde später Nachmittag.
Ihr könnt eine Antwort also bis zum nächsten Werktag erwarten". Funktioniert auch als Eingangsbestätigung.
Erinnere dich (und andere): Kommunikation ist keine Verpflichtung, sondern Beziehungspflege.
Unser Rat von der Konfliktbaustelle:
Wer Kommunikation aufzwingt, bekommt selten echte Verbindung.
Wer dagegen wertschätzend, bewusst und klar kommuniziert, baut Brücken – und keine digitalen Mauern.
Also:
Lasst uns wieder lernen, wie man schreibt, ohne zu drängen.
Und antwortet, wenn ihr soweit seid – nicht, wenn das Häkchen blau wird.
Euer Team von
www.Konfliktbaustelle.blogspot.com
(Heute mit dem Prädikat: Gelesen. Verstanden. Wertgeschätzt.)