Erzähl doch keine Märchen! Wie uns Frösche, Unken und Seerosen helfen, anders zu denken.

Ich erzähl euch jetzt erst mal ein Märchen: Die Froschprinzessin vom Glitzerspiegelteich Eine Liebesgeschichte mit Sprungkraft Es war einmal am Glitzerspiegelteich, da lebte die junge, hübsche Froschprinzessin Quendoline Glimmerbein. Ihr Papa war niemand Geringerer als König Kröthar der Strenge, ein ehrenhafter, aber sehr... nun ja, knurriger Frosch mit ausgeprägtem Ordnungssinn. Quendoline aber war lebhaft, klug – und ein bisschen keck. Sie träumte von Freiheit, Liebe und großen Sprüngen ins Unbekannte. Am Nachbarteich, an dem schönen Schlammperlschlösschen, lebte der junge, freche Froschprinz Flippo Quakbold, bekannt für seine besonders weiten Sprünge, seine Sonnenbrille und – man munkelte – seine grüne Vespa mit Blattaufklebern. Quendoline und Flippo trafen sich heimlich auf Seerosenblättern, lachten, quakten sich Liebesgedichte zu und schlürften gemeinsam Libellencocktails. Sie hielten das geheim. Und doch: König Kröthar war darüber nicht erfreut, schließlich war seine Tochter eine Prinzessin und hatte nur das Beste verdient. „Dieser Flippo ist ein Tunichtgut! Kein Benehmen! Und diese Vespa ist viel zu laut!“ Doch dann geschah es: Die böse Unke Morbida Gifthaut schlich sich in der Dämmerung an die nichtsahnende Quendoline heran als diese sich voller Vorfreude am Lieblingsplatz einfand und gedanklich schon ein Gedicht für Ihren Schatz im Kopf formulierte, und entsprechend keine Sinne mehr für ihre Umgebung hatte – mit finsteren Absichten! Quendoline war froh, dass es endlich so schön geregnet hatte, dass sich im stimmungsvolles Umgebungsbild ergab: Die Libellen tanzten, als gäbe es kein Morgen, die Seerosenblüten tauchten das Schilf in einen romantischen Schimmer, und die zirpenden Grillen machten es möglich, dass sich Morbida Gifthaut unbemerkt sich bis auf wenige Froschlängen heranschleichen konnte. Quendolines Leben war in Gefahr, aber: Wer stürzte sich heldenhaft dazwischen? Flippo Quakbold, natürlich! Mit einem beherzten Sprung, einem gezielten Zungenschnapper und einem kräftigen „Quaaaaak!“ rettete er seine geliebte Quendoline. König Kröthar war gerührt. Zum ersten Mal in seinem Leben weinte er – eine winzige Träne rollte von seinem Wangenhöcker. Für diese Tat sollst Du belohnt werden, ich gebe Dir 1000 Froschgulden. Aber Flippo hatte kein Interesse an Geld und Reichtum. Und das sagte er auch zu König Kröthar. Er nahm all seinen Mut zusammen und sprach mit fester Stimme: Wenn Du mich belohnen möchtest, gibst Du mir die Hand Deiner Tochter. Sie ist Dein größter Schatz, und ich habe Dir bewiesen, dass ich in der Lage bin, darauf aufzupassen. „Also gut“, brummte er. „Du hast mein Fröschlein gerettet. Ich gebe meinen Segen.“ Und so kam es zur Hochzeit auf der großen Wasserlilie. Alle waren da: Tante Tüpfelbauch, die Libellenkapelle und sogar ein neugieriger Fischotter. Nach dem Froschkuss, der das Ganze offiziell machte, stiegen Quendoline und Flippo auf ihre Vespa, riefen fröhlich: „Wir quaken später!“ – und düsten in den Sonnenuntergang. Und wenn sie nicht gehüpft sind, dann chillen sie noch heute am Teich. Ist das ein klassisches Märchen? Ja. Ist das eine banale Froschromanze? Keineswegs. Denn diese Geschichte ist ein Paradebeispiel für einen Perspektivwechsel mit Libellencocktail und Sonnenbrille. Was sehen wir auf den ersten Blick? Einen Vater, der seine Tochter schützen will. Einen jungen Frosch, der sich nicht an Regeln hält. Eine Liebesgeschichte mit Hindernissen. Aber auf den zweiten Blick? Einen König, der Angst hat, seine Tochter zu verlieren. Einen jungen Liebenden, der Mut zeigt – nicht durch Herkunft, sondern durch Tat. Eine Prinzessin, die sich nicht ihrem goldenen Stammbaum, sondern ihrer inneren Stimme verpflichtet fühlt. Und plötzlich, wenn wir das Märchen nicht nur lesen, sondern hineinfühlen, dann kippt die Perspektive: Der Tunichtgut wird zum Helden, der strenge Vater zum Ergriffenen, die Liebesnacht auf dem Seerosenblatt zum Symbol für Selbstbestimmung und Vertrauen. Wir brauchen Märchen – gerade in der Kommunikation: Märchen sind nicht naiv. Märchen sind Projektionsflächen. Sie ermöglichen uns, Dinge zu sagen, ohne mit dem Zeigefinger zu zeigen. Sie sprechen unser inneres Kino an – das der Gefühle, der Hoffnungen, der Ängste und der eingefahrenen Denkweisen. Denn: Wer sagt, dass nur Flippo ein Frosch ist? Vielleicht sind auch wir manchmal König Kröthar. Oder Morbida Gifthaut. Oder die, die gerettet werden – und danach mit ihrer Vespa endlich selbst losfahren. Konfliktbaustelle konkret: Märchen für den Perspektivwechsel nutzen: Erzähle ein Märchen – statt einen Vorwurf zu formulieren. Manchmal versteht dein Gegenüber durch die Geschichte mehr, als durch ein Sachargument. Stell Fragen wie: „Aus wessen Sicht erzählt?“ Märchen fördern Empathie, weil sie Rollen klar machen – und zeigen, dass jeder seine Gründe hat. Ermutige Kinder wie Erwachsene, Geschichten zu verdrehen. Was wäre, wenn Morbida Gifthaut nur einsam war? Oder Flippo eigentlich Königsspross in Verkleidung? Nutze Märchenbilder in der Mediation oder Beratung oder in der Alltagskommunikation. Ein „goldener Ball“, eine „dunkle Höhle“ oder ein „mutiger Sprung ins Unbekannte“ spricht oft mehr aus als ein juristisches Gutachten. Ein Märchen ist kein Ausflug in die Vergangenheit – sondern eine Einladung zur Veränderung. In Bildern, in Symbolen, in Quak-Lauten. Und manchmal reicht ein kleiner Frosch mit großem Herz, um ein festgefahrenes Weltbild aufzubrechen. Denn wer wirklich zuhört, der merkt: Die Wahrheit liegt nicht immer in der Realität – manchmal liegt sie auf einem Seerosenblatt und quakt leise: Du musst nur mal anders hinsehen. Erzählt uns eure Lieblingsmärchen – oder schreibt neue. Die Konfliktbaustelle freut sich auf Libellenpost aus allen Perspektiven. Euer Team von www.konfliktbaustelle.blogspot.com

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