Händeschütteln – Geste mit Geschichte oder überholte Floskel?

Ein Hochzeitsbesuch mit Kommunikationspotenzial Neulich auf einer Hochzeit. Fröhliche Stimmung, Gläserklirren, Rosenblüten im Haar – alles war bereitet für einen wundervollen Tag. Es war die Art von Feier, bei der man sich fragt: „Kenne ich den eigentlich auch noch von früher oder ist das jetzt Schwippschwager vierten Grades?“ Und dann geschah es: Der Vater der Braut – ein Herr mit imposantem Schnurrbart, goldbesticktem Jackett und der Ausstrahlung eines ehrenvollen Altbürgermeisters – steuerte zielsicher auf den Tisch der "Gegenfamilie" zu. Ein junger Verwandter, vielleicht ein Cousin des Bräutigams, erhob sich freundlich. Der Vater der Braut streckte die Hand entgegen – fest, erwartungsvoll, ritualisiert. Doch der junge Mann zögerte. Er lächelte höflich, nickte, machte eine angedeutete Bewegung mit der Hand auf der Brust – kein Handschlag. Ein Sekundenmoment mit Spannkraft. Die Brauen des Vaters der Braut wanderten in die Höhe. Nicht empört – eher überrascht. Ein stilles Fragezeichen stand für einen Wimpernschlag im Raum. Der Moment verstrich, das Gespräch ging weiter. Aber als Beobachter dachte ich: Da hat gerade Kommunikation auf ganz vielen Ebenen stattgefunden – ohne ein einziges Wort. Das Händeschütteln – Berührung mit Botschaft: Das Händeschütteln ist mehr als eine Geste. Es ist ein soziales Signal: Ich sehe dich. Ich respektiere dich. Ich bin offen für Kontakt. Und genau deshalb: Wenn es nicht erwidert wird, fühlt es sich schnell wie Ablehnung an – auch wenn es das gar nicht ist. Denn nicht jeder will diese Form des Kontakts – aus gesundheitlichen, kulturellen oder ganz persönlichen Gründen. Zwischen Globalität und Gelassenheit: In vielen Kulturen ist das Händeschütteln nicht üblich, manchmal sogar unpassend. In manchen Gemeinschaften wird körperlicher Abstand als Zeichen von Respekt verstanden. In Asien ist ein leichtes Verneigen üblich. In einigen muslimisch geprägten Kulturen vermeiden Frauen und Männer den direkten Körperkontakt. Und spätestens seit Corona ist auch in unseren Breitengraden eine neue Sensibilität entstanden. Kommunikation ohne Worte, ein Missverständnis im Festzelt bei der Begrüßung? Der junge Mann wollte nicht brüskieren. Vielleicht war er einfach vorsichtig. Vielleicht waren es religiöse Gründe. Oder es war schlicht die Gewohnheit, seit Jahren auf Nähe zu verzichten. Aber der Vater der Braut – in seinem Goldknopfjackett – sah nur eines: kein Händedruck! Ein typisches Beispiel für unausgesprochene Erwartungen, ritualisierte Gesten – und wie leicht daraus kleine Spannungen entstehen können. Tipps von der Konfliktbaustelle: Umgang mit dem Händeschütteln: Orientiere dich an deinem Gegenüber, warte kurz – gibt dein Gegenüber die Hand? Oder bleibt es bei einem Nicken? Mache es nicht peinlich – sag es klar: Ein Satz wie: „Ich grüße lieber kontaktlos – ich hoffe, das ist okay?“ wirkt Wunder. Respektiere kulturelle Unterschiede. Nicht jeder will oder darf berühren – ein freundliches Lächeln kann ebenso verbinden. Nutze Blickkontakt statt Handschlag. Ein aufrichtiger Blick bleibt oft stärker haften als ein pflichtbewusster Händedruck. Bei Feiern gilt: Humor hilft, ein augenzwinkerndes: „Winken ist das neue Schütteln“ kann Spannungen entschärfen. Also was tun: Hände weg oder Hand drauf? Das Händeschütteln ist nicht tot. Aber es ist nicht mehr selbstverständlich – und das ist vielleicht gar nicht schlecht. Denn jede Geste, die bewusst gegeben wird, zählt mehr als jede Pflichtübung. Die beste Form der Begrüßung bleibt die, bei der sich beide Seiten wohlfühlen. Das Händeschütteln lebt – aber nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit. Eine Geste. Kein Zwang. Und vielleicht ist das die schönste Entwicklung: Wirklich gute Kommunikation fragt nicht „Was macht man denn nach Knigge so?“, sondern richtet sich danach aus: „Was passt für dich und für mich?“ Eure Konfliktbaustelle, heute mit Fingerspitzengefühl – und immer offen für neue Begrüßungsrituale.

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