"Ich will ja nichts sagen, aber …" – Was steckt dahinter?

Neulich auf einem Familiengeburtstag, Namen der beteiligten Personen geändert, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig. Kaffee, Kuchen, Kerzen, und der übliche Wahnsinn. Lisa wird heute 17. Neues Kleid, neues Haarstyling, 1 Stunde Schminken. Tante Ruth beugt sich zu ihrer Nichte vor und sagt, mit dem Blick auf deren neue Frisur: „Ich will ja nichts sagen, aber mit Pony sieht man halt schnell kindlich aus.“ Stille. Lisa lächelt gezwungen. Der Onkel fragt, ob noch Käsekuchen da ist. Später wird Lisa sagen: „Warum muss sie das immer machen? Tut so, als wär es harmlos – und dann trifft es ins Herz.“ Was steckt hinter „Ich will ja nichts sagen, aber …“? Dieser Satz gehört zur Familie der verkleideten Kommentare. Er klingt wie ein Rückzieher – ist aber oft ein Vorbote eines verbalen Nadelstichs. Was folgt, ist fast nie neutral, sondern: eine verdeckte Kritik, eine Belehrung mit Sicherheitsabstand, oder ein Kommentar mit eingebautem Fallschirm: „Falls du dich angegriffen fühlst – ich hab es ja nicht böse gemeint!“ Psychologisch ist der Satz ein Kommunikations-Rückzugsraum. Man sendet eine Botschaft, ohne die Verantwortung dafür vollständig zu übernehmen. Er ist sprachlicher Selbstschutz, Distanzierung und Wirkungsverleugnung in einem. Warum machen wir das? Aus Unsicherheit: Wir trauen uns nicht, etwas offen anzusprechen. Aus Gewohnheit: Manche Menschen haben nie gelernt, direkt und wertschätzend zu kommunizieren. Aus sozialer Tarnung: Wer mit einem "Ich will ja nichts sagen ..." einsteigt, hofft, nicht als kritisch oder verletzend wahrgenommen zu werden. Manchmal auch aus Manipulation: Kritik wird so formuliert, dass sie kaum konterbar ist. Tipps von der Konfliktbaustelle: 1. Lass die Einleitung weg – oder sag, was du wirklich meinst. Statt: „Ich will ja nichts sagen, aber das sieht komisch aus.“ Lieber: „Darf ich dir ehrlich sagen, wie ich das finde?“ 2. Achte auf den Ton, statt nur auf den Inhalt. Selbst ein wertvoller Hinweis klingt daneben, wenn er im Tarnanzug kommt. 3. Mach aus Kritik ein Angebot, nicht eine Spitze. „Wenn du möchtest, gebe ich dir gern meine Einschätzung dazu.“ – das öffnet Türen statt sie zuzuschlagen. 4. Wenn du so angesprochen wirst, frag ruhig nach. „Du willst nichts sagen – hast es aber getan. Was genau möchtest du mir eigentlich sagen?“ Das bringt Klarheit – für beide Seiten. „Ich will ja nichts sagen, aber …“ ist also selten das, was es vorgibt zu sein. Meistens wollen wir sehr wohl etwas sagen – aber ohne die Verantwortung für die Wirkung zu tragen. Wertschätzende Kommunikation beginnt da, wo wir nicht nur sagen, was wir denken, sondern auch dazu stehen. Ohne Schnörkel. Ohne Rückzug. Und gern mit Respekt.

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