Ratschläge sind auch Schläge! Was kommuniziere ich, wenn ich ungefragt Ratschläge gebe?

Gestern im Elektrofachmarkt, ich suche Batterien für meine Fernbedienung. Ein Mann um die 40 steht vor der Wand mit den neuen Ultra-Wasweißich-HD-Fernsehern. Neben ihm eine ältere Dame, konzentriert auf ein Modell im mittleren Preissegment blickend, Zettel in der Hand. Sie mustert die Preisschilder, tippt unsicher auf die Fernbedienung. Da beugt sich der Mann leicht zu ihr rüber und sagt laut genug für die halbe Abteilung: „Also den hier würd ich nicht nehmen – viel zu kleiner Kontrastwert, und das Smart-TV-System ist Mist. Ich erklär Ihnen kurz, worauf Sie achten müssen.“ Die Frau lächelt höflich, lässt die technischen Erklärungen über sich ergehen, murmelt etwas Unverständliches und nimmt dann, man kann es kaum glauben, genau diesen Fernseher. Der Mann schüttelt unmerklich den Kopf. Sie lächelt. Vielleicht, weil sie den ersten Fernseher ihres Lebens kauft. Vielleicht, weil sie keine Lust hat, sich belehren zu lassen, wie ihr verstorbener Mann das immer getan hat. Vielleicht, weil der Ratgeber unrecht hat, und sie es besser weiß. Vielleicht, weil sie sich nur dieses Budget leisten kann. Vielleicht, weil ihr Kontrastwert und Smart-TV-System völlig egal sind, sie nicht einmal weiss, was das ist. Ratschläge sind tückisch. Sie tragen die gute Absicht wie ein goldenes Kleid, aber darunter verbirgt sich oft die versteckte Botschaft, dass der andere allein gerade nicht gut genug ist, seine Entscheidung allein zu fällen: „Du brauchst meine Hilfe.“ „Ich weiß es besser.“ „Dein Entscheidungs-Weg ist nicht gut genug.“ Was im besten Fall gut gemeint ist, wird schnell als Einmischung oder gar Belehrung empfunden, besonders, wenn der Rat ungefragt kommt. Warum machen wir das? Weil wir helfen wollen. Weil wir eigene Lösungen als universell sehen. Weil wir glauben, dass Reden besser ist als Zuhören. Und manchmal auch, weil es unser Ego streichelt. Aber Kommunikation bedeutet auch: Raum lassen. Nicht jedes Problem will sofort eine Lösung. Manchmal reicht ein Ohr, ein Nicken, ein "Das klingt echt schwer." Unsere Tipps von der Konfliktbaustelle: Frage vorher um Erlaubnis: „Möchten Sie hören, was mir dazu einfällt?“ Statt: „Also was Sie brauchen, ist …“ Ich-Botschaften statt Besserwisser-Sätze: „Ich habe mit Marke X gute Erfahrungen gemacht“ ist besser als: „Der ist nichts, glauben Sie mir.“ Zuhören statt lösen: Manchmal will jemand einfach in Ruhe entscheiden, nicht belehrt, sondern respektiert werden. Vertraue auf die Kompetenz des Gegenübers: Auch wenn jemand ratlos wirkt, ist er nicht unbedingt hilflos. Ein ungefragter Ratschlag ist wie ein neuer Fernseher im falschen Format: Gut gemeint, aber oft nicht das, was gerade für den anderen passt. Statt zu beraten, bevor du gefragt wirst, warte einen Moment, warte auf ein Zeichen. Vielleicht kommt die Frage von selbst. Und wenn nicht: Auch Schweigen kann Wertschätzung sein.

Beliebte Posts aus diesem Blog

21. Juni – Der längste Tag des Jahres: 17 Sonnenstunden Kommunikation

Winken ohne Grund? Kommunikation unter Fremden

600 Telefonmediationen in weniger als einem Jahr – Routine, Raketenstart oder kommunikative Erschöpfung?