Die Tyrannei des Positiven

Letzte Woche in einem Coachinggespräch. Eine erfahrene Führungskraft, Mitte 40, verantwortet ein großes Team, arbeitet in einem anspruchsvollen sozialen Umfeld. Wir reden über Erschöpfung, über Druck, über das Gefühl, ständig stark sein zu müssen. Sie schaut mich an und sagt: „Ich bin fast daran zerbrochen, dass ich immer positiv bleiben wollte.“ Stille. Dieser Satz hat mich beschäftigt. „Du musst nur positiv denken.“ Diesen Satz haben wir alle schon gehört. Manche sagen ihn zu sich selbst, andere sagen ihn zu anderen, oft in bester Absicht. Doch was als aufbauende Motivation gemeint ist, kann tatsächlich zur emotionalen Falle werden. Wenn alles positiv gedeutet werden muss, bleibt kein Raum mehr für das, was auch da ist, nämlich Angst, Zweifel, Wut, Schmerz, Erschöpfung. Das Ergebnis: Wir funktionieren. Wir lächeln. Wir sagen: „Alles gut.“ Und innerlich? Bauen wir Druck auf. Uns gegenüber, positiv zu sein. Verlieren den Kontakt zu uns selbst. Und irgendwann vielleicht zu anderen. Resilienz bedeutet nicht, sich alles schönzureden. Resilienz beginnt nicht mit „gut drauf sein“, sondern mit Selbstwahrnehmung. Nur wer sich selbst ernst nimmt, wer merkt, wann er innerlich stolpert, überfordert ist oder zweifelt, kann mit schwierigen Situationen wirklich umgehen. Verdrängung ist keine Stärke. Tipps der Konfliktbaustelle Nimm Deine Gefühle ernst. Auch die „unangenehmen“. Sie zeigen Dir etwas Wichtiges. Positivität darf echt sein. Kein aufgesetzter Daueroptimismus, sondern Hoffnung mit Bodenhaftung. Sprich drüber. Gerade als Führungskraft. Echtheit schafft Verbindung, nicht Perfektion.Sei eine "soziale Führungskraft". Reflektiere Dich selbst und Dein Umfeld. Sei authentisch, das schafft Verbindung. So hast Du die Möglichkeit, Lösungswege zu schaffen und aus der schlechten Phase wieder herauszukommen. „Du musst nur positiv denken“, kann also helfen, aber nur, wenn es kein Zwang ist. Manchmal beginnt der Weg zurück zur Stärke genau dort, wo man ehrlich sagt: „Gerade ist es schwer.“ Und sich erlaubt, genau das zu fühlen. Vielleicht ist das der mutigste Führungsstil überhaupt, sich selbst führen, auch in schwierigen Zeiten, nicht an sich vorbei. Wenn Du ähnliche Gespräche führst oder geführt hast, oder selbst mal „positiv denken“ musstest, obwohl Dir gar nicht danach war – schreib uns. Vielleicht wird aus Deiner Geschichte das nächste Kapitel. Deine Konfliktbaustelle

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