Geschmack und Toleranz – warum wir bei Essen großzügiger sind als bei Mode

Gestern beim Mittagstisch im Restaurant hatten wir eine diskussionsanregende Begegnung: Am Nachbartisch sitzt eine bunt gemischte Runde. Einer bestellt ein saftiges Rindersteak, die andere einen veganen Burger, jemand anders schwört auf glutenfreie Pasta. Alle lachen, stoßen an und freuen sich über die Auswahl. Keiner runzelt die Stirn, keiner kommentiert kritisch, im Gegenteil, man tauscht sich interessiert über die Speisekarte aus. Schnitt. Wir sind gerde mit dem Essen fertig, als eine Frau das Lokal betritt und einen Tisch sucht. Sie trägt ein leuchtend gelbes Kleid mit riesigen Punkten, dazu Sneaker mit Glitzer. Was passiert? Kopfdrehen, Stirnrunzeln, leises Getuschel: „Also DAS geht ja gar nicht!“ Plötzlich ist die Vielfalt nicht mehr Grund zur Freude, sondern Anlass zur Distanzierung. Wir schmunzeln und kommen zeitglich auf den selben Gedanken: Stellen wir uns die gleiche Szene in einer Galerie vor: Da hängt ein Bild, noch schräger als das Kleid. Farben, Formen, alles wild gemischt, und das Urteil des Publikums? „Spannend! Originell! Mutig!“ Geschmack und Toleranz, warum wir bei Essen großzügiger sind als bei Mode: Beim Essen sind wir erstaunlich tolerant: Der eine liebt Steak, die andere lebt vegan, wieder andere schwören auf Sushi, Falafel oder schwäbische Maultaschen. Restaurants bieten längst eine bunte Vielfalt an Geschmacksrichtungen, und kaum jemand würde sich echauffieren, wenn der Tischnachbar Tofu statt Tafelspitz bestellt. Vielfalt gehört hier selbstverständlich dazu. Anders sieht es beim Thema Mode aus: Wer in einem „ungewöhnlichen“ Outfit auftaucht, riskiert schnell Blicke, Getuschel oder Kommentare. „Das geht ja gar nicht!“ – so der spontane Reflex. Toleranz, die wir beim Essen aufbringen, scheint bei Kleidung plötzlich schwerzufallen. Und in der Kunst wiederum? Da wird Verschiedenheit fast gefeiert: Schräge Installationen, provokante Bilder, experimentelle Musik, vieles, was außerhalb von Galerien als „untragbar“ oder „schräg“ gelten würde, gilt hier in der Kunstszene als mutig, originell, sogar bewundernswert. Warum ist das so? Ein Erklärungsversuch: Essen ist meist privat oder in einem geschützten Rahmen, Mode dagegen ständig sichtbar. Kleidung ist eine soziale Visitenkarte, die sofort Signale über Zugehörigkeit, Stil und Status sendet. Abweichungen provozieren Reaktionen, weil sie Normen infrage stellen. Beim Thema Kunst dagegen wissen wir: Hier darf es ungewöhnlich sein. Die Galerie ist ein „Safe Space“ für Experimente. Auf der Straße dagegen wird das Außergewöhnliche oft als Störung des Vertrauten erlebt. Essenstoleranz ist leichter, weil wir Unterschiede nicht unbedingt auf unsere eigene Identität beziehen. Kleidung dagegen wirkt wie ein Spiegel: Wer „anders“ aussieht, zwingt uns, uns selbst zu positionieren, und das erzeugt Reibung. Tipps der Konfliktbaustelle in Richtung Toleranz: Schaffen Sie sich ein Bewusstsein für solche Reaktionen. Wenn Sie beim nächsten Mal denken „Das geht ja gar nicht“, halten Sie inne und fragen sich: "Warum genau stört mich das?" Bevorzugen Sie Neugier statt (vorschnelles) Urteil. Probieren Sie, das Ungewohnte wie ein Kunstwerk zu betrachten: Was könnte die Botschaft sein? Vielleicht steckt hinter dem „merkwürdigen“ Outfit eine spannende Persönlichkeit. Hinterfragen Sie die eigenen Normen. Gesellschaftliche Regeln sind nicht in Stein gemeißelt. Was heute befremdlich wirkt, ist morgen vielleicht Mainstream, man denke nur an Jeans, Piercings oder Sneaker im Büro. Üben Sie Toleranz im Kleinen. Wer Unterschiede im Alltag bewusst akzeptiert (sei es beim Essen, bei Musik oder Mode), trainiert eine Haltung, die auch in größeren Konflikten hilfreich ist. Unser Fazit von der Konfliktbaustelle: Geschmack ist vielfältig, beim Essen, in der Mode, in der Kunst. Toleranz bedeutet, nicht alles selbst gut finden zu müssen, sondern anderen ihren eigenen Stil zuzugestehen. Wer Vielfalt zulässt, macht das Leben bunter, und die Kommunikation automatisch freundlicher.

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