Resilienz: Kein Häkchen-Thema
Neulich saß ich in der Bahn neben jemandem mit frisch erobertem „Resilienz“-Workbook. Gelbes Post-it vorne drauf: „Erledigt ✔︎“. Kaum war der Zettel bewundert, vibrierte das Handy – drei Mails mit „DRINGEND“, dazu die Nachricht von zuhause: „Wir müssen heute Abend noch reden.“ Der Blick wechselte von stolz zu leicht gequält. Genau da liegt der Punkt: Ein Seminar ist wunderbar, aber das Leben wartet nicht höflich, bis wir im Kurs alles abgeheftet haben.
Resilienz ist in Mode. Vom Krankenhausflur bis zum Coworking-Space werden Seminare angeboten, und das klingt herrlich effizient: „Ich buche was, dann ist das Thema durch.“ Schön wär das. Ein gutes Seminar kann ein kräftiger Anschub sein, es gibt Sprache, Modelle, Übungen. Doch Resilienz ist kein Event, sie ist eine Praxis, eine Haltung, die man sich erarbeitet. Sie zeigt sich nicht im Seminarraum, sondern zwischen E-Mails und Missverständnissen, zwischen Wäschekorb, Wochenplan und „Wir müssen reden“.
Im Beruf beginnt das oft ganz unspektakulär: Wer viel gibt, muss irgendwo wieder auftanken. Das heißt nicht drei Wochen Wellness, sondern kleine, verlässliche Pausen, ein klares Ende des Arbeitstags, und das erwachsene „Nein“, wenn noch ein „Ganz kurz!“ anfliegt, das gar nicht kurz ist. Und wenn etwas hakt, hilft frühes Sprechen mehr als spätes Rechtbehalten. Nehmen wir eine Szene, die viele kennen: Im Schulungsraum ist die „Letzte-Runde“-Kontrolle gelaufen, du bist verantwortlich fürs Licht und die Fenster. Kaum drehst du dich um, macht die unliebsame Kollegin eines der Fenster wieder auf – pünktlich zum Feierabend, als Einladung zu Mehrarbeit oder zur anschließenden Rüge. Resilienz heißt jetzt nicht, sich zu ärgern und innerlich Briefe zu formulieren, sondern kurz und freundlich Präsenz zu zeigen: „Ich sehe, du hast eben wieder geöffnet. Die Schließrunde liegt heute bei mir – ich mache es jetzt zu. Wenn du lüften willst, sag mir vorher Bescheid oder schließ es bitte selbst wieder, danke.“ Sache geklärt, Beziehung gewahrt, kein Drama. Das ist Resilienz im Kleinen: Klarheit ohne Kälte.
In der Partnerschaft klingt Resilienz ebenfalls unspektakulär: nicht Streit vermeiden, sondern ihn gut führen. Ein kurzer Wochen-Check-in wirkt oft Wunder, bevor Kleinigkeiten groß werden. Sätze wie „Ich merke, dass mich das unter Druck setzt“ öffnen Türen, während „Du immer …“ sie zuverlässig schließt. Und nach dem Donnerwetter braucht es bewusst den Weg zurück: ein Satz, eine Geste, ein kleiner Plan fürs nächste Mal.
Wozu dann das Seminar? Für Spiegel, Struktur, Startsignal. Aber die eigentliche Musik spielt danach. Nehmen Sie sich eine Sache fürs Büro – zum Beispiel zwei echte Mikropausen am Tag – und eine Sache für zuhause – etwa zehn Minuten Gespräch am Sonntagabend. Vier Wochen lang. Nicht heroisch, sondern zuverlässig. Danach Bilanz: Was hat getragen, was braucht eine Anpassung? So verwandelt sich ein Impuls in eine Gewohnheit.
Realismus schlägt Heldentum. Resilienz heißt nicht „alles aushalten“, sondern klug begrenzen, ehrlich kommunizieren und regelmäßig regenerieren. Wer das übt, wird nicht härter, sondern handlungsfähiger – im Team und zu zweit.
Tipp der Konfliktbaustelle: Wenn Sie aus einem Resilienz-Seminar kommen, schreiben Sie sich einen kleinen Transferzettel: eine Gewohnheit für den Job, ein Ritual für die Beziehung, eine Grenze, die Sie ab heute klar benennen. Hängen Sie den Zettel dahin, wo Sie ihn zweimal täglich sehen. Vier Wochen lang. Danach neu entscheiden. So bleibt es kein Häkchen auf einem Workbook – sondern ein Stück Alltag, das trägt. Und die Statistik zeigt, dass man es gar nicht mehr tut und umsetzt, wenn man es nicht in den ersten 24 Stunden tut. Also nicht "aufschieben", denn machen ist krasser als wollen!
MD