Der Browserverlauf – Verräter oder Kommunikationsmittel?
Kennst du das auch? Manche Menschen löschen ihren Browserverlauf routinemäßig – warum eigentlich?
Nicht, was du jetzt wieder denkst. „Schweinkram“ im Netz ist ja längst gesellschaftsfähig.
Nehmen wir lieber ein harmloses Beispiel: Ich oute mich hiermit als Musikliebhaber. Mein Geschmack hat ein breites Spektrum – über Jazz, Hardrock, Metal, Funk, Chansons, Country-Music ist außer Schlager fast alles dabei. Je nach Stimmung. Und da sind wir schon mitten im Thema.
Ich habe eine Schwäche für die großen „amerikanischen Diven“: Diana Ross, Oleta Adams, Dionne Warwick, Barbra Streisand, Ella Fitzgerald, um nur ein paar Namen zu nennen. Besonders die emotionalen Balladen in der Live-Version haben es mir angetan, quer durch „all the great lovesongs“.
Und was sagt mein Youtube-Browserverlauf dazu? Eine ganze Menge! Mein Lieblingsmensch braucht aus dem Home-Office eine Etage höher nur ein paar Takte aufzuschnappen, um zu rufen: „Ach so geht es uns heute!“ Musikgeschmack als Stimmungsthermometer – treffsicherer als jede Wettervorhersage.
Der Browserverlauf ist oft mehr als nur eine technische Spur durchs Netz. Er ist Kommunikation ohne Worte. Er verrät, was uns gerade beschäftigt, welche Bedürfnisse, Sehnsüchte oder Sorgen wir haben.
Wer ständig Rezepte googelt, ist vielleicht nicht nur hungrig, sondern sucht nach Gemeinschaft beim Kochen.
Wer sich durch Reiseportale klickt, hat vielleicht gerade Fernweh oder das Bedürfnis nach Aufbruch.
Und wer wie ich Lovesongs hört, ist gerade in einer besonders weichen, vielleicht sogar verletzlichen Stimmung. Oder kann sich eben dabei besonders gut entspannen.
Ohne dass wir es merken, senden wir damit also Botschaften an unser Umfeld – kleine Hinweise auf unser Inneres.
Natürlich kann der Browserverlauf uns auch „verraten“. Wer sich durch Online-Shops klickt, muss sich hinterher schon mal die Frage anhören: „Brauchst du wirklich noch ein Paar Schuhe?“ Oder die Überraschung für den Schatz zum Hochzeitstag ist verdorben. Doch im besten Fall ist er ein Kommunikationsmittel, ein Fenster in unsere Gefühlswelt. Also Obacht, ob es vielleicht angebracht ist, den Rolladen herunterzulassen. Wem wollen wir uns öffnen?
Die Frage ist also nicht, ob wir den Verlauf löschen sollten, sondern ob wir die darin versteckten Botschaften wahrnehmen, erkennen, und vielleicht als Gesprächsanlass nutzen. Denn manchmal reicht ein Songtitel im Verlauf, und der Mensch nebenan versteht uns besser als jede lange Erklärung.
Also löscht ruhig fleißig Eure Verläufe – ich für meinen Teil lasse lieber Ella Fitzgerald bewußt für mich sprechen. Sie bringt meine Stimmung oft viel besser auf den Punkt, als ich es je könnte. MD