Wenn jemand "ned nett ist, ist er dann bös?"
Unser Azubi kommt gerade vom TÜV ins Büro gestürmt. Mit hochrotem Kopf erzählt er aufgeregt von seinem Erlebnis:
„Der Prüfer war total unfreundlich! Kein Lächeln, kaum ein Wort. Hat nur kurz gesagt: ‚Bremsen runter. Plakette gibt’s so nicht.‘ – und zack, weg war er. Boah, was für ein mieser Kerl!“
Wir hören ihm zu und merken, wie schnell so ein Urteil entsteht. In seinem Kopf war die Sache sofort klar: Wer nicht nett ist, muss böse sein. Doch so einfach ist es eben nicht. Manchmal steckt hinter einem knappen, unfreundlichen Auftreten gar keine Boshaftigkeit, sondern schlicht Routine, Stress oder die eigene Art, Dinge ohne Umschweife zu sagen. Der Prüfer hatte keine Zeit für Smalltalk, vielleicht auch einfach keine Lust auf Freundlichkeiten, aber das macht ihn nicht automatisch zu einem schlechten Menschen. Vielleicht hat der Prüfer schon fünf ungeduldige Kunden vor mir gehabt.Vielleicht war er schlicht konzentriert und wollte keine Plauderei. Vielleicht ist seine Art eben nüchtern – ohne dass er es abwertend meint.
Es ist ein Unterschied, ob wir sagen: „Der war gerade unfreundlich“ oder ob wir den Menschen insgesamt als „böse“ abstempeln. Im ersten Fall beschreiben wir nur ein Verhalten in einer bestimmten Situation. Im zweiten Fall machen wir eine moralische Gesamtrechnung über den Charakter eines Menschen auf – und das ist unfair und schlicht falsch.
Unser Azubi musste also lernen, dass ein knapper Satz beim TÜV nicht gleich bedeutet, dass der Prüfer etwas gegen ihn persönlich hat. Vielleicht war es für ihn selbst sogar hilfreich, dass der Mann so klar und ehrlich gesagt hat, was Sache ist: Die Bremsen müssen gemacht werden, Punkt. Sicherheitsrisiko und zwingende Vorschriften. Keine Umschweife, keine falsche Freundlichkeit, sondern eine nüchterne Information.
Am Ende ging unser Azubi zwar ohne Plakette, dafür aber mit einer wichtigen Erkenntnis: Nicht nett ist nicht automatisch böse. Und vielleicht ist es im Leben gar nicht schlecht, wenn uns hin und wieder jemand ohne Umwege die Wahrheit sagt – auch wenn sie nicht so nett verpackt ist, wie wir es uns wünschen würden. SD