Zwischen Achtsamkeit und Unruhe: Stillsitzen muss nicht immer gut sein

Loriot hat es schon vor Jahrzehnten auf den Punkt gebracht: Die Frau steht in der Küche beim Abwasch, der Mann sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa. Auf ihre wohlmeinenden Vorschläge – ein Buch lesen, spazieren gehen, fernsehen, irgendetwas tun – antwortet er nur beharrlich: „Ich will einfach nur hier sitzen.“ Ein Sketch, der damals zum Lachen brachte – und heute erstaunlich aktuell wirkt. Denn die Fähigkeit, „einfach mal nur zu sitzen“, scheint vielen Menschen verloren gegangen zu sein. Wir leben in einer Zeit, in der Stille fast schon verdächtig wirkt. Das Smartphone meldet sich mit Nachrichten. Podcasts, Playlists oder Streams laufen im Hintergrund. Selbst beim Warten an der Ampel greifen wir reflexartig zum Display. Es scheint, als hätten wir verlernt, uns selbst auszuhalten. „Nichts tun“ löst bei vielen sofort das Gefühl aus, Zeit zu verschwenden. Lieber lassen wir uns berieseln, beschäftigen uns – Hauptsache nicht stillsitzen. Doch genau diese Stille ist wertvoll. Wer sich im Wald einmal ohne Kopfhörer bewegt, hört nicht nur Vögel und Wind, sondern auch die eigene innere Stimme. Wer zu Hause einmal auf dem Sofa sitzt, ohne etwas „Sinnvolles“ zu tun, lernt Achtsamkeit. Wer Langeweile aushält, entwickelt Kreativität – oft sind es diese Momente, in denen neue Ideen entstehen. Psychologisch betrachtet: Stille ist ein Spiegel. Sie zeigt uns, wie unruhig wir in uns selbst sind. Wer sich ständig ablenkt, läuft Gefahr, das Eigentliche – die eigenen Gedanken, Bedürfnisse, Sehnsüchte – nicht mehr wahrzunehmen. Und was hat das mit Kommunikation zu tun? Sehr viel. Wer mit sich selbst keine Stille erträgt, wird sie auch mit anderen schwer teilen können. Beziehungen leben nicht nur von Worten, sondern auch von gemeinsamem Schweigen. Manchmal ist die größte Nähe das bequeme, unaufgeregte Nebeneinandersitzen – ohne Programm, ohne Ablenkung. Stillsitzen ist keine Schwäche, sondern eine Kunst. Loriot hat es humorvoll vorgemacht: der Mann, der „einfach nur so sitzen“ will, wirkt heute fast wie ein moderner Achtsamkeitstrainer. Vielleicht sollten wir uns von ihm inspirieren lassen: uns trauen, öfter einmal nichts zu tun. Kein Handy, kein TV, kein Programm – nur Stille. Denn wer stillsitzen kann, muss nicht vor sich selbst davonlaufen. Natürlich gilt wie immer: Das ist individuell verschieden. Für manche Menschen ist Stille tatsächlich unerträglich, und sie entwickeln Kreativität am besten mit Musik im Hintergrund, bei laufendem Fernsehen oder mitten im urbanen Trubel. Am Ende bleibt nur ein Ratschlag: Ausprobieren und den eigenen Weg zur Entspannung finden. Ob in der Stille des Waldes oder im Gewimmel der Stadt – entscheidend ist, dass es für einen selbst guttut. SD

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