Wer nur fürs Wochenende lebt, verpasst fünf Siebtel der Woche ...
und ist jeden Montag ein Verlierer!
Heute morgen beim Frühstück: Ein TikTok-Video geht viral.
Ein junger Influencer klagt:
Acht Stunden täglich arbeiten? Unmöglich! Wie soll man da noch leben?
Die Empörung ist groß – und das nicht nur in den Kommentarspalten.
Denn der Subtext ist klar: Arbeit ist lästig. Sie steht dem „echten Leben“ im Weg.
Und damit sind wir mitten in einer Kommunikationsbaustelle, die größer ist als ein viraler Clip:
Was bedeutet Arbeit eigentlich für uns, in unserer Gesellschaft, heute im Jahr 2025?
Die Idee, dass Arbeit etwas ist, was „auszuhalten“ sei, und das eigentliche Leben erst nach Feierabend beginnt, ist weit verbreitet.
Aber diese Idee ist auch gefährlich.
Denn sie tut so, als sei jeder, der in seiner Arbeit Freude, Sinn, Stolz oder gar Identität findet, ein hoffnungsloser Fall. Das ist herabwürdigend.
Die These, dass man sich nur in der Freizeit, beim Yoga-Retreat oder beim Dropshipping aus Bali selbst verwirklichen kann, ist schlicht falsch.
Die Frage ist, was ist eigentlich „Leben“?
Ist Leben wirklich nur das, was außerhalb der Arbeitszeit passiert?
Sind Lehrer, Pflegerinnen, Handwerker, Unternehmerinnen, Landwirte, Richterinnen, Künstler oder Sozialarbeiter nur tragische Figuren im falschen Film, weil sie in dem aufgehen, was sie tun?
Was für ein herablassendes Menschenbild steckt eigentlich hinter der Vorstellung, dass Arbeit immer Zwang, immer Belastung, immer Einschränkung sei?
Natürlich gibt es Arbeit, die schwer ist, schlecht bezahlt, ungerecht verteilt.
Und ja, es gibt Missstände, Überforderung, Ausbeutung, toxische Strukturen.
Aber die Kritik dessen verdient Tiefe, nicht ein TikTok-Statement mit jammerndem Gesicht und Filter.
Arbeit ist Kommunikation mit der Welt.
Wer arbeitet, gestaltet.
Arbeit ist eine Form der Weltbeziehung: Ich bringe mich ein.
Ich wirke. Ich verändere. Ich bin nicht nur Zuschauer meines Lebens, sondern Beteiligter.
Und: Arbeit ist oft Beziehung.
Zum Chef. Zum Team. Zum Kunden. Zum Werkstück.
Und manchmal sogar zur eigenen Berufung. Davon wird der "Beruf" abgeleitet.
Wer das alles nur als notwendiges Übel sieht, kommuniziert etwas anderes:
Nämlich, dass Selbstverwirklichung nur dann zählt, wenn sie Selfies macht.
Etwas oberflächlich, findet ihr nicht?
Ein wenig Demut, bitte!
Vielleicht braucht es einen Perspektivwechsel:
Wer acht Stunden am Laptop für die Buchhaltung schwitzt, ist nicht gefangen, sondern verantwortlich.
Wer acht Stunden im Pflegeheim arbeitet, „lebt“ nicht weniger, sondern ermöglicht anderen ein Leben in Würde.
Wer acht Stunden mit Hingabe unterrichtet, produziert nicht nur Noten, sondern Zukunft der folgenden Generation.
Das verdient Respekt, nicht Mitleid.
Konfliktbaustellen-Tipps für den Umgang mit dem „Arbeit nervt“-Narrativ:
1. Frage dich: Was sagt meine Haltung über andere aus?
Wenn du Arbeit für überbewertet hältst, was bedeutet das für die, die sie lieben?
2. Kommuniziere Arbeit nicht als Feind.
Nicht alles, was anstrengend ist, ist toxisch.
Und nicht alles, was Freizeit ist, ist erfüllend.
3. Erkenne Vielfalt an.
Es gibt Menschen, die leben für ihre Arbeit, und andere, die trotz ihrer Arbeit leben.
Beides ist in Ordnung, solange man das eine nicht abwertet, um das andere zu rechtfertigen.
4. Kritik braucht Tiefe.
Wenn Arbeitsmodelle veraltet sind, müssen wir sie hinterfragen, differenziert, konkret, dialogfähig.
Nicht mit einem pauschalen: „Ich kann so nicht leben!“
5. Und schließlich: Ehre, wem Arbeit gebührt.
Wenn jemand acht Stunden täglich dafür sorgt, dass das Rad sich dreht – sei es sichtbar oder unscheinbar – dann ist das kein Grund zum Kopfschütteln.
Sondern einer zum Danke sagen.
Der Influencer hat vielleicht etwas ausgesprochen, das viele fühlen.
Aber er hat dabei vergessen, was viele andere erleben:
Arbeit kann Sinn stiften, Identität geben, Teilhabe ermöglichen, und ein Ausdruck von Freiheit sein.
Wer sie nur als Hindernis zum „echten Leben“ versteht, hat etwas sehr Grundsätzliches nicht verstanden:
Arbeit ist nicht das Gegenteil von Leben.
Arbeit ist – oft – ein Ausdruck davon.
Wir wünschen hiermit Euch allen, dass ihr den richtigen Job habt. Wenn nicht, wünschen wir euch die Kraft und den Mut, das zu ändern. MD