Pssst, hast du schon gehört … – „Stille Post“ und „Geheimnisse“ hinter vorgehaltener Hand
An einem schönen Samstagmorgen besuche ich nach langer Zeit mal wieder den Markt. Heute soll es ein Abendessen aus regionaler Küche geben. Vielleicht noch ein Apfelkuchen dazu – mal sehen, was es auf dem Markt Leckeres gibt. Mit dem Einkaufszettel in der Hand schlendere ich von Stand zu Stand. Mein Korb ist schon gut befüllt, als sich eine Bekannte nähert. Wir halten ein kurzes „Schwätzle“, wie es auf dem Markt eben so üblich ist, wenn man sich trifft. Am Ende unseres Smalltalks frage ich sie: „Ich brauche noch Äpfel. Du bist doch häufiger hier – welcher Marktbeschicker hat die leckersten Äpfel?“ Die Antwort kommt prompt: „Das ist der Herr S. da hinten, der Stand mit dem roten Dach. Da solltest du aber nicht kaufen. Weißt du, er soll nämlich damals …“
Hinter vorgehaltener Hand erfahre ich die ganze Geschichte über Herrn S. – jedoch so laut, dass umstehende Passanten jedes Wort verstehen. Eine „Offenbarung“ von menschlichen Abgründen, wie die Bekannte es nennt. Gelegentlich nicke ich, schüttle verständnisvoll den Kopf oder werfe einen erkennenden Blick ein. Der Redeschwall über Herrn S. ist irgendwann beendet. Ich verabschiede mich höflich und danke halbherzig für die Unterhaltung. Fast hätte ich vergessen, was ich noch kaufen wollte. Ach ja, Äpfel!
Meine Füße tragen mich – fast fremdgesteuert – zum Stand mit dem roten Dach von Herrn S. Ein sehr freundlicher Herr begrüßt mich. Diese Äpfel sehen nicht nur zum Anbeißen aus, ich darf sie sogar probieren. Nachdem er gefragt hat, wie ich sie gerne mag, reicht er mir ein Apfelstück. So wurde ich zuvor an keinem der hiesigen Stände bedient. Ein völlig anderes Bild von Herrn S. offenbart sich mir.
Als ich dann irgendwann vollbepackt zu Hause ankomme und endlich mit einer Tasse Kaffee in der Küche sitze, kommt mir das Gespräch vom Markt wieder in den Sinn. Ich schüttle innerlich den Kopf: Ich habe diesen Menschen anders kennengelernt, als mir „zugeflüstert“ wurde. Vor Kurzem habe ich erst einen interessanten Beitrag zu diesem Thema gelesen, der gut zum Marktgespräch passt.
Wenn jemand mit einem Gerücht zu dir kommt, erinnere dich an den Drei-Filter-Test, der meist Sokrates, dem Philosophen, zugeschrieben wird:
Eines Tages, im antiken Griechenland, kam ein Mann aufgeregt zu Sokrates:
„Willst du wissen, was ich über deinen Freund gehört habe?“
Sokrates antwortete ruhig: „Warte einen Moment. Bevor du sprichst, lass uns das durch drei Filter prüfen.“ – „Drei Filter?“ – „Ja! Der erste ist die Wahrheit: Bist du dir sicher, dass das, was du mir sagen willst, wahr ist?“ – „Nun … nein. Man hat es mir nur erzählt.“
„Ich verstehe. Zweiter Filter: die Güte. Ist das, was du mir sagen willst, etwas Positives?“ – „Nein, ganz im Gegenteil.“
„Also möchtest du mir etwas Negatives erzählen, ohne sicher zu sein, dass es stimmt. Sehen wir uns den dritten Filter an: die Nützlichkeit. Bringt es mir einen Vorteil, das zu erfahren?“ – „Um ehrlich zu sein … nein.“
Daraufhin schloss Sokrates: „Wenn es weder wahr, noch gut, noch nützlich für mich ist – warum solltest du es mir erzählen?“
Eine einfache, aber kraftvolle Lektion, wie ich finde. Sie schützt unsere Beziehungen, erleichtert unser Leben, und macht die Welt ein bisschen besser, je mehr Menschen sich dran halten.
Was habe ich nun für mich selbst aus dem Gespräch vom Markt mit nach Hause genommen? Lass dich nicht verleiten vom Hörensagen. Vor allem aber: Lass dich nicht irgendwo hineinziehen, wenn es sich für dich nicht gut anfühlt. Bilde dir selbst eine Meinung und triff deine Entscheidungen selbst. Lass dich nicht von negativen Gefühlen leiten, die nicht deine sind. Sei offen für die Menschen, über die erzählt wurde – oft kommt am Ende etwas ganz anderes heraus als das, was ursprünglich erzählt wurde. Insgesamt sind Gerüchte meist eine negative Art der Kommunikation.
Inzwischen ist mein Apfelkuchen fertig. Genüsslich verspeise ich das erste, noch warme Stück, mit den leckersten Äpfeln, die ich jemals gekauft habe.
MF