Leise rieselt der Stress – Vom Wunsch nach Stille in einer lauten Zeit
Neulich schrieb mir ein geschätzter Mediationskollege: „Wie wär’s mit einem
kleinen Adventstreffen? Glühweinstand, lockerer Austausch, vielleicht Samstag 17
Uhr auf dem Weihnachtsmarkt?“
Ich las die Nachricht, lächelte, und spürte
gleichzeitig ein Ziehen im Bauch. Nicht, weil ich ihn nicht mag. Nicht, weil ich
etwas gegen Begegnungen habe. Sondern weil ich an diesem Adventswochenende vor
allem eines suche: Ruhe. Und weil der Gedanke an den Weihnachtsmarkt eher Stress
in mir auslöst als Vorfreude.
Früher war der Advent für mich eine besondere
Zeit. Kerzenlicht, Plätzchenduft, Vorfreude. Ein Innehalten vor dem großen Fest.
Eine leise Hinwendung nach innen.
Heute? Weihnachtsmärkte sind rappelvoll,
Glühwein kostet 6 Euro plus Pfand, die Musik kommt vom Band, ist nicht mein
Geschmack, und zwischen Punsch und Plastiksternen schieben sich die Menschen mit
Blick aufs Handy durch die Deko-Kulisse. Romantik? Irgendwo zwischen den
Essensständen verloren gegangen. Dabei war der Advent ursprünglich etwas ganz
anderes: Eine Zeit der Vorbereitung, nicht der Dauerbespaßung. Eine Zeit der
Stille, nicht des Konsums. Eine Zeit des Wartens, nicht des Jagens nach
Weihnachtsgeschenken und Rabatten.
Der Song „I Believe in Father Christmas“ von
Greg Lake bringt es auf eine schmerzhaft ehrliche Weise auf den Punkt:
„They said there'd be snow at Christmas / They said there'd be peace on Earth / But
instead it just kept on raining.“ *
Man versprach uns Schnee, Frieden, Besinnung
– aber oft regnet es Werbeslogans, Konsumstress und Kalenderdruck.
Die Adventszeit scheint manchmal mehr Wettbewerb als Wegstrecke geworden zu sein:
Wer hat die schönste Deko, die originellsten Plätzchen, den vollsten
Terminkalender? Und doch, irgendwo in uns schlummert diese Sehnsucht: Nach einem
Moment echter Begegnung. Nach einem Sonntagmorgen mit Kerzenschein. Nach einem
Gespräch ohne To-do-Liste. Ohne Plan oder Verhandlung. Nach einem Lied, das
nicht verkauft, sondern berührt.
Konfliktbaustellen-Tipps für einen Advent mit Herz statt Hektik:
Schenk dir selbst ein „Nein“.
Du musst nicht jeden Termin wahrnehmen. Ein „Danke, aber ich brauche gerade Ruhe“ ist ein Akt der Selbstfürsorge, kein
Affront.
Hinterfrage deine Adventsrituale.
Was tut dir wirklich gut? Was machst du nur, weil „man das halt so macht“? Weniger ist oft mehr. Ein bewusstes
Plätzchen, ein stiller Abend mit Musik, ein echtes Gespräch, all das wirkt
tiefer als fünf Weihnachtsfeiern in Folge.
Ersetze Glitzer durch Bedeutung.
Statt dem zwölften Dekoartikel vielleicht ein handgeschriebener Brief? Oder ein
echtes Zuhören am Telefon?
Gönn dir Musik mit Tiefe.
Vielleicht heute mal kein
„Jingle Bells“, sondern Greg Lake. Oder „Stille Nacht“, ohne Ironie. Oder
"River" von Joni Mitchell.* Denn manchmal ist es genau das, was wir brauchen:
Nicht mehr Lautstärke, sondern mehr Echtheit.
Der Advent ist keine Challenge. Er ist ein Angebot. Zum Innehalten. Zum Hinspüren. Zum Menschsein.
Ich kann mich nicht verbiegen. Also habe ich meinem Kollegen geantwortet:
„Danke für die Einladung, aber mein Glühwein steht heute zu Hause auf dem Herd. Vielleicht
sehen wir uns nach den Feiertagen. Ich wünsche dir einen echten, stillen
Advent.“
Herzliche Grüße von der Konfliktbaustelle, wo zwischen Plätzchenduft
und Stille manchmal mehr Verbindung entsteht als auf jedem Weihnachtsmarkt. MD
* Album Works Volume II der Band Emerson, Lake & Palmer. 1977
* Album Blue von Joni Mitchell, 1971