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Es werden Posts vom August, 2025 angezeigt.

Der Regulator – wenn Kommunikation ein Richtmaß braucht

In meiner Uhrensammlung gibt es einige besondere Stücke: Regulatoren. Präzisionspendeluhren aus dem 18. und 19. Jahrhundert, bei Uhrmachern einst die Referenzuhr. Ihr Zifferblatt ist ungewöhnlich: Stunden, Minuten und Sekunden getrennt, damit man die Zeit so exakt wie möglich ablesen und andere Uhren nach ihr justieren konnte. Warum fasziniert mich dieses Prinzip so? Weil der Regulator nicht nur für die Zeitmessung ein Symbol ist, sondern auch für unser Miteinander. Kommunikation braucht manchmal Nachjustierung. In Beziehungen, im Team, im Alltag merken wir: Irgend etwas läuft unrund. Gespräche verhaken sich. Stimmungen schwingen in die falsche Richtung. Kleine Missverständnisse ziehen große Kreise. Genau dann entsteht der Wunsch nach einem Regulator, nach einem Richtmaß, an dem man sich orientieren kann. Was kann unser „Regulator“ sein? Ein Lieblingsphilosoph, der uns immer wieder auf das Wesentliche zurückführt. Bei mir ist es z.B. Epiktet: "Die Dinge sind, wie sie si...

Sag es mit einem Lied – Kommunikation, die direkt ins Herz geht

Gestern auf dem Heimweg: Das bordbetriebene Autoradio plätschert so dahin, bis die ersten Klänge eines alten Songs erklingen: „Deep inside the forest … maybe …“ – die Titelmelodie von Der Mann in den Bergen (Grizzly Adams). Spontan drehe ich den Lautstärkeregler auf Anschlag. Ich singe mit, laut, falsch, hemmungslos. Schön ist es nicht, aber hört mich ja keiner! Während ich auf den Waldrand zufahre, tauchen Bilder auf: Der bärtige Mann mit den langen Haaren, weißes Hemd, Hosenträger. Vor meinem inneren Auge steht er am Hackklotz, die Axt in der Hand. Ich rieche förmlich das frische Holz, spüre die klare Bergluft. Und von hinten trabt sein treuer Freund, der Grizzly, gemächlich auf ihn zu. Erinnerungen prasseln auf mich ein … maybe … Die Zeitmaschine hat funktioniert. Ein Lied kann unser Innerstes berühren. Nicht umsonst sagt man: „In guten Zeiten hörst du das Lied – in den richtigen Momenten verstehst du den Text.“ Die Wissenschaft bestätigt es: Selbst Menschen im Koma reagieren ...

Drohne oder Wanderschuh? – Der höchste Mammutbaum und die Frage nach dem Erleben in modernen Zeiten

Heute Morgen in der Facebook-Gruppe „Naturfreunde“: Jemand postet, wo in Deutschland der höchste Mammutbaum steht. Sekunden später trudeln die Kommentare ein – die hilfreichen und die herrlich sinnfreien: „Wie finde ich den Baum genau?“ „Woran sehe ich, dass das der Baum ist?“ „Geh doch gar nicht selbst hin, nimm Dir lieber ne Drohne! Dann siehst du wenigstens den ganzen Baum und nicht nur unten ein Stück Stamm.“ Der letzte Ratschlag macht nachdenklich: Ist das ein guter Rat eines technikverliebten Menschen? Oder eine freundliche Einladung, das Gesamterlebnis wegzuoptimieren, den Wald nicht zu riechen, die Stille nicht zu hören, den Weg nicht zu gehen? Was ist die Psychologie dahinter? 1) Technik gibt Kontrolle – und klaut sie manchmal auch. Eine Drohne liefert Übersicht, Winkel, Maßstab. Das befriedigt unser Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Gleichzeitig nimmt sie uns das Gefühl der Entdeckung: Wer alles vorab aus der Luft sieht, erlebt vor Ort weniger Staunen. 2) Effizi...

Die Dinge sind, wie sie sind – und was wir daraus machen

„Die Dinge sind, wie sie sind.“ Dieser Satz klingt erst einmal banal, ist aber doch eine kleine Lebensphilosophie. Mir fällt dazu spontan eine Begebenheit im Büro ein, letzten Freitag: Der Drucker streikt. Wieder mal. Es ist kurz vor Abgabefrist, der Stapel Unterlagen muss dringend raus. Meine Kollegin Siggi steht neben dem Gerät, drückt verzweifelt auf die Tasten und ruft: „Das Ding macht mich wahnsinnig!“ Wer kennt es nicht, das Sprechen mit Geräten, die nicht so wollen wie man selbst. Ein älterer Mediationskollege, zufällig im Raum, schaut gelassen rüber, zuckt die Schultern und sagt trocken: „Die Dinge sind, wie sie sind.“ Dreht sich um und geht sich einen Kaffee holen. Wir anderen zwischen Hektik, Zorn und Schweißperlen starren ihm zuerst fassungslos hinterher. Und merken im selben Moment: Er hat recht. Der Drucker wird durch unsere Aufregung nicht schneller wieder funktionieren. Das Zitat, das auf den griechischen Philosophen Epiktet zurückgeht, bringt eine einfache Wahrheit...

Alt, aber bezahlt! – Was Dein Umgang mit Luxus über Dich verrät

Gestern auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt: Ein älterer Mercedes 190 in Gold, BBS-Felgen, ein bisschen Rost an den Radläufen, Stoßstange schon mal mit einem Sprühstoß Lack überarbeitet, aber auf der Heckscheibe verkündet ein Aufkleber in stolzem Weiß: „Alt, aber bezahlt!“ Ich konnte nicht anders, ich musste grinsen. Nebenan parkte zeitgleich ein funkelnagelneuer SUV, erkennbar ein Leasingfahrzeug, auf dem Armaturenbrett noch der Aufkleber der Bank. Ein Parkplatz, zwei Welten. Was kommunizieren wir mit solch einem Aufkleber, solch einer Botschaft? 1. Lager Ansparer, die Geduldigen. Wer Luxus erst kauft, wenn er bezahlt werden kann, kommuniziert: „Ich habe Disziplin.“ „Ich gönne mir, was ich mir erarbeitet habe.“ „Mein Besitz ist solide, ich schulde niemandem etwas.“ 2. Lager Sofort-Genießer: die Finanzierer. Wer über Kredit oder Leasing zugreift, signalisiert etwas anderes: „Ich will (oder brauche) es jetzt.“ „Ich investiere lieber in Lebensqualität als ins Warten.“ „Mir ist ...

Das ist jetzt Deine letzte Chance!

Gestern Abend, gemütlich auf dem Sofa, der Fernseher läuft so nebenher. Da plötzlich der Werbespot: „Nur noch bis Mitternacht! Verändere Dein Leben, kostenloses Webinar: Wie Du in 7 Tagen Millionär wirst!“ Und weil das offenbar noch nicht genug ist, blinkt zeitgleich im E-Mail-Postfach der Newsletter eines Weiterbildungsanbieters: „Letzte Chance zur Anmeldung für unser exklusives Online-Training! Danach ist das Tor für immer geschlossen!“ Für immer geschlossen? Ich sehe mich schon, wie ich an einem imaginären Burgtor rüttle, während hinter den Mauern die Glücklichen sitzen, die noch rechtzeitig auf den Link geklickt haben. Was wird hier kommuniziert? Zeitdruck : „Nur noch bis Mitternacht!“ Als ob die Sonne morgen nicht mehr aufginge. Exklusivität : „Exklusiv, nur jetzt, nie wieder!“ Du gehörst entweder zu den Auserwählten oder bleibst für immer zurück. Schuldgefühl : „Es wäre so schade, wenn Du diese Chance verpasst …“ Nicht sie haben etwas zu verkaufen, nein, Du bist schuld, wen...

Geschmack und Toleranz – warum wir bei Essen großzügiger sind als bei Mode

Gestern beim Mittagstisch im Restaurant hatten wir eine diskussionsanregende Begegnung: Am Nachbartisch sitzt eine bunt gemischte Runde. Einer bestellt ein saftiges Rindersteak, die andere einen veganen Burger, jemand anders schwört auf glutenfreie Pasta. Alle lachen, stoßen an und freuen sich über die Auswahl. Keiner runzelt die Stirn, keiner kommentiert kritisch, im Gegenteil, man tauscht sich interessiert über die Speisekarte aus. Schnitt. Wir sind gerde mit dem Essen fertig, als eine Frau das Lokal betritt und einen Tisch sucht. Sie trägt ein leuchtend gelbes Kleid mit riesigen Punkten, dazu Sneaker mit Glitzer. Was passiert? Kopfdrehen, Stirnrunzeln, leises Getuschel: „Also DAS geht ja gar nicht!“ Plötzlich ist die Vielfalt nicht mehr Grund zur Freude, sondern Anlass zur Distanzierung. Wir schmunzeln und kommen zeitglich auf den selben Gedanken: Stellen wir uns die gleiche Szene in einer Galerie vor: Da hängt ein Bild, noch schräger als das Kleid. Farben, Formen, alles wild gemisc...

Heute ist ein guter Tag, weil ich es so möchte!“ – Klingt einfach, oder? Aber kann man Glück wirklich beschließen?

„Heute ist ein guter Tag, weil ich es so möchte. Ich habe beschlossen, heute glücklich zu sein!“ Das war heute das erste, was mich angesprungen hat, als ich beim Frühstück so nebenbei gecheckt habe, was in facebook so geht. Solche Posts tauchen immer wieder in den sozialen Medien auf, oft unterlegt mit Sonnenaufgängen, Kaffeetassen oder Katzenbabys. Sie klingen nach Leichtigkeit, Selbstbestimmung und einer geradezu magischen Macht des Willens. Einfach beschließen, glücklich zu sein, fertig. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ja, es gibt tatsächlich Forschung, die zeigt: Unsere Einstellung beeinflusst unsere Wahrnehmung. Wer sich morgens bewusst vornimmt, auf Positives zu achten, wird es eher bemerken. Psychologen sprechen von selektiver Aufmerksamkeit. Das heißt: Wenn wir das Glück suchen, erkennen wir es häufiger, selbst in kleinen Momenten. Unser Gehirn hat einen angeborenen "Negativity Bias", das bedeutet, wir reagieren stärker auf Probleme und Gefahren als auf positive ...

Wunschpunsch - Wie sehe ich mich? Und wie seht Ihr mich? Und was will ich, wie Ihr mich seht?

Da scrollt man so durch Facebook, und plötzlich taucht er auf: Unser Nachbar, nur diesmal nicht beim Grillen, nicht im Urlaub, nicht im Anzug auf einer Hochzeit, sondern als Bruce-Willis-Verschnitt in einer dramatischen Action-Szene. KI sei Dank. Den "Prompt" hat er gleich mit gepostet: Fotorealistische Darstellung des exakt gleichen Mannes wie auf dem Referenzfoto, mit identischer Gesichtsform, Augen, Bart, Haaren und Gesichtsausdruck. Er befindet sich in einer dramatischen Action-Szene im Stil von „Stirb langsam“ (Die Hard). Umgebung: zerstörtes Hochhaus-Innenleben bei Nacht, Rauch, Funkenflug, zerbrochene Glasscheiben, Kabel hängen von der Decke. Der Mann trägt ein leicht zerrissenes, schweißdurchtränktes weißes Unterhemd, an der Schulter eine kleine Schürfwunde, in der Hand eine Pistole, im Hintergrund Polizeiautos mit blinkenden Lichtern und Explosionen in der Ferne. Beleuchtung: filmisch, kontrastreich, warme Lichtstrahlen mischen sich mit bläulichem Notlicht. Ultra-rea...

Die Tyrannei des Positiven

Letzte Woche in einem Coachinggespräch. Eine erfahrene Führungskraft, Mitte 40, verantwortet ein großes Team, arbeitet in einem anspruchsvollen sozialen Umfeld. Wir reden über Erschöpfung, über Druck, über das Gefühl, ständig stark sein zu müssen. Sie schaut mich an und sagt: „Ich bin fast daran zerbrochen, dass ich immer positiv bleiben wollte.“ Stille. Dieser Satz hat mich beschäftigt. „Du musst nur positiv denken.“ Diesen Satz haben wir alle schon gehört. Manche sagen ihn zu sich selbst, andere sagen ihn zu anderen, oft in bester Absicht. Doch was als aufbauende Motivation gemeint ist, kann tatsächlich zur emotionalen Falle werden. Wenn alles positiv gedeutet werden muss , bleibt kein Raum mehr für das, was auch da ist, nämlich Angst, Zweifel, Wut, Schmerz, Erschöpfung. Das Ergebnis: Wir funktionieren. Wir lächeln. Wir sagen: „Alles gut.“ Und innerlich? Bauen wir Druck auf. Uns gegenüber, positiv zu sein. Verlieren den Kontakt zu uns selbst. Und irgendwann vielleicht zu and...

Atmen für Anfänger – oder: Der nächste Hype kommt bestimmt!

Neulich, ausnahmsweise, im Bus: Neben mir zwei Teenager im angeregten Gespräch. Sie: „Ich war gestern beim "Atem-Workshop.“ Er: „Krass. Ich auch. Welche Session?“ Sie: „Psychedelic. 60 Minuten. Ohne Substanz. Nur Atmen.“ Er: „Geil. Ich hab so losgelassen – ich war ganz bei mir!“ Ich, zu mir selbst: "Ich war ganz woanders." Und ich frage mich seitdem: Echt jetzt? Müssen wir uns das Atmen beibringen lassen? Willkommen im Jahr 2025! Die Welt ist kompliziert. Verständlich. Aber wenn man uns jetzt schon das Atmen erklärt, und das mit Musik, LED-Stimmungslampe und Anmeldeformular, dann sind wir endgültig im Zeitalter der Selbstoptimierung durch Schnappatmung angekommen. Die Menschheit hat es doch bisher erstaunlich gut hinbekommen: Atmen: gratis, spontan, rhythmisch. Mal flach, mal tief, mal angestrengt, mal wohlig. Und immer zur richtigen Zeit. Vollautomatisch. Brauchen wir da wirklich geführte Online-Sessions mit Event-Countdown? Was steckt dahinter? Psychologisch betra...