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Es werden Posts vom November, 2025 angezeigt.

Leise rieselt der Stress – Vom Wunsch nach Stille in einer lauten Zeit

Neulich schrieb mir ein geschätzter Mediationskollege: „Wie wär’s mit einem kleinen Adventstreffen? Glühweinstand, lockerer Austausch, vielleicht Samstag 17 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt?“ Ich las die Nachricht, lächelte, und spürte gleichzeitig ein Ziehen im Bauch. Nicht, weil ich ihn nicht mag. Nicht, weil ich etwas gegen Begegnungen habe. Sondern weil ich an diesem Adventswochenende vor allem eines suche: Ruhe. Und weil der Gedanke an den Weihnachtsmarkt eher Stress in mir auslöst als Vorfreude. Früher war der Advent für mich eine besondere Zeit. Kerzenlicht, Plätzchenduft, Vorfreude. Ein Innehalten vor dem großen Fest. Eine leise Hinwendung nach innen. Heute? Weihnachtsmärkte sind rappelvoll, Glühwein kostet 6 Euro plus Pfand, die Musik kommt vom Band, ist nicht mein Geschmack, und zwischen Punsch und Plastiksternen schieben sich die Menschen mit Blick aufs Handy durch die Deko-Kulisse. Romantik? Irgendwo zwischen den Essensständen verloren gegangen. Dabei war der Advent ursprüngl...

Unbezahlbar?
Vom Wert der Dinge und dem Preis für Menschlichkeit

Neulich bin ich beim Durchstöbern der Mediatheken bei "Bares für Rares" hängen geblieben. Jeder hat vermutlich schon mal von dieser Sendung gehört, ich bisher nur gehört, nie gesehen. Also klickte ich neugierig drauf und ließ mich auf die Welt der Dachbodenfunde ein. Zu sehen: Menschen, die scheinbar alltägliche Dinge mit großer Geschichte und emotionalem Wert präsentieren. Schmuckstücke, die jahrzehntelang verschollen waren, Erinnerungsstücke aus Uromas Zeiten – für den einen Ramsch, für den anderen ein Schatz. Und genau das bringt mich zum Nachdenken. In der Sendung wird zuerst von einer sachverständigen Person jedem Gegenstand ein Wert zugeschrieben, gemessen an Zustand, Alter, Seltenheit und Begehrtheit auf dem Markt. Doch den tatsächlichen Preis bestimmt dann die Verhandlung, das Marktgeschehen, das Interesse der Käufer. Klingt nach Wirtschaft? Ist es auch. Und trotzdem geht es um mehr. Denn was ist eigentlich der Wert, und was ist der Preis? Ich denke an mein altes ...

Selfcare oder Selbstbetrug? – Wenn Achtsamkeit zur Leistungsdisziplin wird

Neulich im Wartezimmer des Hausarztes, 08.15 Uhr, gottseidank sollte ich nur ein Rezept abholen. Neben mir blättert eine Dame, schätzungsweise Mitte Dreißig, in einer Zeitschrift mit dem Titel "Selfcare für starke Frauen". Als ihr Name aufgerufen wird, sagt sie strahlend und mit echtem Stolz in der Stimme zur Arzthelferin: „Ich bin heute schon um 5:00 Uhr aufgestanden, habe meditiert, Journaling gemacht, kalt geduscht und meine 10.000 Schritte fast voll, ich brauche jetzt nur noch das Rezept, dann ist mein Tag komplett.“ Wow. Ich dagegen hatte mich mit großer Anstrengung aus dem Bett geschält, ein kurzes Frühstück genossen und bin vergleichsweise ziemlich unachtsam in meinen Tag gestolpert. Aber was mich an der Szene beschäftigte, war nicht etwa Neid auf ihre Disziplin. Es war eine Frage: Was kommunizieren wir eigentlich, wenn wir stolz verkünden, wie selbstfürsorglich wir um 5:00 Uhr in den Tag gestartet sind? Selfcare, also Selbstfürsorge, soll uns ja eigentlich schützen...

Angelesen, abgelehnt? Wenn Chatgruppen zur Konfliktbaustelle werden oder: Schweigen wird laut!

Neulich in der WhatsApp-Gruppe der Betreuungsassistenten. „Leute, wie sieht’s aus, Samstag Lerngruppe zur Vorbereitung der Prüfung nächste Woche?“ Gesehen: 11. Antworten: 0. Dann passiert: nichts. Keine Absage. Kein „Bin raus“. Kein Like. Nur dieses nervöse Grummeln im Bauch, das wir alle kennen: Hat niemand Lust? Hab ich was falsch gemacht? Bin ich jetzt peinlich? Können alle anderen schon alles? Willkommen im Kommunikationssumpf moderner Gruppenchats. Früher hießen Gruppen übrigens „Freundeskreis“, „Familie“ oder „Verein“, analog. Heute sind sie digitale Echokammern. Und manchmal klingen sie verdächtig leer. Das Problem: Schweigen ist auch Kommunikation. Und zwar eine der besonders lauten Art. Wenn niemand antwortet, wird das schnell persönlich genommen. Das gesendete Emoji, das ignorierte Meme, das unbeantwortete Planungsangebot, alles verwandeln sich in stille Vorwürfe, die durch den Kopf geister: „Nie reagiert ihr auf meine Ideen.“ „Ich hab’s doch gut gemeint.“ „Warum lese i...

Hobby-Horsing, Hobby-Dogging & Co. - ist das noch harmlos, oder muss das weg?

Was wir wirklich kommunizieren, wenn wir „virtuelle Hobbys“ ausüben: Es gibt Trends, die kommen leise, und bleiben. Und es gibt Trends, bei denen man sich fragt: „Meinen die das ernst?“ So ging es mir beim ersten Mal, als mir jemand vom „Hobby-Horsing“ erzählte: Menschen, meist Jugendliche, springen mit einem Steckenpferd durch Parcours, präsentieren Dressurlektionen und üben Schritt, Trab, Galopp. Und zwar nicht im Spaßraum der Kita, sondern mit erstaunlicher Ernsthaftigkeit. Mittlerweile ist das schon fest etabliert. Doch dann kam „Hobby-Dogging“: Menschen führen imaginäre Hunde an echten Leinen aus. Man kann Kurse buchen, für Leinenführung, Unterordnung, Hundepsychologie. Nur: Da ist kein Hund. Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage: Was kommunizieren Menschen, die virtuelle Tiere ausführen? Und was sagt das über unsere Gesellschaft? Zuerst das Positive: Bewegungsdrang, Kreativität und eine Spur verspielte Leichtigkeit nehmen wir wahr. Bevor wir also die Hände über de...

Der blaue Koffer - meine Büchse der Pandora?

Als Kind hatte ich einen hübschen kleinen Koffer. Er war blau, schon damals ziemlich alt, mit einer Holzbespannung als nostalgisches Dekoelement. Ich bewahrte meine Puppenkleider darin auf. Später, als ich älter wurde, nutzte ich ihn für andere Schätze meiner Jugend, Briefe, Kleinigkeiten, Erinnerungen. Und als ich schließlich auszog, nahm ich ihn mit. Seitdem zog der Koffer mit mir von Wohnung zu Wohnung. Ich öffnete ihn nie. Nicht ein einziges Mal. Aber ich schleppte ihn mit. Immer. Der Koffer wurde zu einem stillen Begleiter, zu einer Konstante in meinem Leben. Ich stellte ihn ab, unbemerkt, ungenutzt, aber irgendwie war er immer da. Und wie oft machen wir das auch mit unseren inneren Themen? Wir tragen Dinge mit uns herum, die wir nie wirklich anschauen, alte Gedanken, frühere Verletzungen, verlorene Träume. Wie der Koffer stehen sie still in einer Ecke unseres Inneren. Nicht ausgepackt, aber trotzdem immer präsent. Sollte man solche inneren „Koffer“ irgendwann öffnen? Ist das ...

Wer nur fürs Wochenende lebt, verpasst fünf Siebtel der Woche ...

und ist jeden Montag ein Verlierer! Heute morgen beim Frühstück: Ein TikTok-Video geht viral. Ein junger Influencer klagt: Acht Stunden täglich arbeiten? Unmöglich! Wie soll man da noch leben? Die Empörung ist groß – und das nicht nur in den Kommentarspalten. Denn der Subtext ist klar: Arbeit ist lästig. Sie steht dem „echten Leben“ im Weg. Und damit sind wir mitten in einer Kommunikationsbaustelle, die größer ist als ein viraler Clip: Was bedeutet Arbeit eigentlich für uns, in unserer Gesellschaft, heute im Jahr 2025? Die Idee, dass Arbeit etwas ist, was „auszuhalten“ sei, und das eigentliche Leben erst nach Feierabend beginnt, ist weit verbreitet. Aber diese Idee ist auch gefährlich. Denn sie tut so, als sei jeder, der in seiner Arbeit Freude, Sinn, Stolz oder gar Identität findet, ein hoffnungsloser Fall. Das ist herabwürdigend. Die These, dass man sich nur in der Freizeit, beim Yoga-Retreat oder beim Dropshipping aus Bali selbst verwirklichen kann, ist schlicht falsch. Die Fra...

„Und was machen Sie so in Ihrer Freizeit?“ – Wenn Hobbys sprechen.

Neulich bei einer dieser Netzwerkveranstaltungen, die wir alle so genießen (hüstel). Ein Mann im Maßanzug reicht mir die Hand, sagt seinen Namen, nennt seine Position, und fragt dann die alles entscheidende Frage: „Und? Was machen Sie so in Ihrer Freizeit?“ Ich antworte höflich: „Ich schreibe, beschäftige mich mit Oldtimern und beobachte Menschen. Er nickt, professionell interessiert, aber nicht begeistert. Dann kommt sein Einsatz: „Ich bin leidenschaftlicher Golfer. Handicap 7. Und gerade aus Südafrika zurück, Business und Birdies, Sie verstehen?“ Dabei blitzt ein Lächeln auf, das gleichzeitig verheißt: Ich bin erfolgreich, gut vernetzt, stressresistent und weltgewandt. Aha. Das Hobby als Visitenkarte. Oder besser: als Kommunikationswaffe im Ellbogen-Krieg des Alltags. Hobbys sind Kommunikation, ob man will oder nicht. Was wir in unserer Freizeit tun, sagt manchmal mehr über uns aus als unser Lebenslauf. Das glaubt Ihr nicht? Hier ein paar Beispiele: Briefmarken sammeln? Zeugt von So...

„Ich war auf deiner Webseite – und wusste trotzdem nicht, was du tust“

(…aber bei manchen weiß man es sofort) Neulich saß ich mit einer Jugendamtsmitarbeiterin beim Kaffee. Sie: „Du kennst dich doch mit Kommunikation aus … schau mal bitte auf diese Webseite. Ich überlege, ob ich da anrufe.“ Ich klicke. Ladezeit. Bild erscheint. Text. Lange Sätze. Fachbegriffe. Abstrakte Worte. Nach zwei Minuten Stille fragt sie: „Und?“ Ich: „Sag du es mir – was macht der Mensch da?“ Sie: „Irgendwas mit Konflikten … vielleicht Coaching? Oder Paartherapie? Oder beides? Keine Ahnung.“ Kommt dir das bekannt vor? Webseiten, die informieren wollen – aber nach drei Absätzen noch immer nicht klar ist, was das Angebot ist, für wen, und warum genau dort. Und dann – zur Ehrenrettung der Zunft – gibt es auch die anderen. Wer auf informative Webseiten geht, findet keine Worthülsen, sondern: ✅ Klare Botschaft ganz oben: „Ich unterstütze Sie bei der Lösung von Konflikten, Problemen, Lebenskrisen.“ Kein Blabla. Keine Wischi-Waschi-Sprache. Keine Selbstbeweihräucherung. Einfach ein...

Süßes, Saures - und die kleinen Drohungen im Alltag, oder: do ut des - was ischn des?

Halloween ist gerade vorbei, und trotzdem spukt das Prinzip weiter durch unseren Alltag: „Süßes, oder es gibt Saures.“ Du gibst etwas: Zeit, ein Kompliment, ein offenes Ohr – und irgendwo im Hinterkopf flüstert eine Stimme: „Na, ein kleines Danke wäre schon schön …“ Wir alle kennen das. Denn selten ist eine Gabe völlig frei von Erwartung. Manchmal ist es nicht nur Großzügigkeit, sondern ein unausgesprochener Deal. Oder, wie es die alten Römer so präzise nannten: "do ut des" – Ich gebe, damit du gibst. Jura, 1. Semester: "Gabe schielt nach Gegengabe." Ein Grundprinzip sozialen Miteinanders, und oft auch Anlass sozialer Missverständnisse. In Beziehungen, Freundschaften, Familien und Büros ist Geben selten einseitig. Natürlich sagen wir: „Ich mach das gern.“ Aber manchmal meinen wir: „Und du dann bitte auch, wenn’s drauf ankommt.“ Denn auch, wenn wir nicht mitrechnen, wir merken, wenn das Gleichgewicht kippt. Dann wird aus Geben ein stilles Fordern. Und aus ...